Mein Vater, Franz Wagner, wurde im Jahre 1854 in Unterhaid, dem heutigen DolnÍ Dvořiště, geboren. Er hatte drei Frauen. Die ersten zwei Frauen sind an Krankheiten, die damals unheilbar waren, verstorben, nämlich an Lungenentzündung und Tuberkulose. Jede hatte fünf Kinder. Zwei Söhne der ersten Frau sind im ersten Weltkrieg gefallen. Die fünf Kinder der zweiten Frau sind alle an Tuberkulose erkrankt. Das Penicillin, das erst 1928 erfunden wurde, hat drei von ihnen das Leben gerettet. Sie sind relativ alt geworden.
Meine Mutter war die dritte Frau. Sie wurde im Jahre 1877 in Kaltenbrunn bei Hohenfurth, dem heutigen Vyšší Brod, geboren. Sie gebar zwei Kinder, meine Schwester Hedwig und mich.
Weil ich im Jahre 1916 geboren wurde, war ich ein Kriegsprodukt in der damals herrschenden Not.
Wir hatten eine Landwirtschaft und es gab bei uns daheim genug zu essen. In den Geschäften gab es wenig zu kaufen.
Bild rechts: Beim Kornschnitt.
Der Mann an der Sense ist Hugo Wagner
(Foto: privat)
Mein Vater zog in jungen Jahren nach Wien, lernte in der Schwechater Brauerei und brachte es bis zum Kellermeister. Er verdiente sehr gut, war sparsam und kaufte sich in Oberlaimbach Nr. 1 bei Leonfelden die Sternmühle, ein großes Haus. Der Verkäufer ist Pleite gegangen. Mein Vater installierte im rückwärtigen Trakt eine Brauerei. Mit Mühle, Brauerei, Schwarzbrotbäckerei und einer kleinen Landwirtschaft wurde er ein reicher Mann. Er ließ an der Straße nach Hohenfurth ein Gasthaus bauen und kaufte in Leonfelden und bei Zwettl an der Rodl Gasthäuser.
Er pachtete eine Eigenjagd vom Fürsten Starhemberg und ging fast täglich jagen. Arbeiten ließ er seine Frauen, Kinder, Knechte und Dirnen, die es damals zu Spottlöhnen gab. Er war Monarchist und zeichnete im 1. Weltkrieg Kriegsanleihen, die nach Kriegsende reichlich Zinsen tragen sollten.
Nun, es kam anders, der Krieg wurde verloren und das Geld war weg.
Ich war das jüngste Kind, meine Geschwister waren viel älter, ich war so eine Art Einzelkind. In der Nachbarschaft suchte ich Spielkameraden, und weil ich sie mit Lebensmitteln versorgen konnte, hatte ich da keine Not. Die Armut unter Menschen war damals sehr groß. Mein Ansprechpartner war und blieb unser alter Knecht Franz Lonsing.
Lonsing ist vor dem ersten Weltkrieg aus Böhmen zugewandert. Er hauste armselig in einer Bruchhütte am Fuße des Sternsteins. Mein Vater hat ihn in sein Haus geholt nach Oberlaimbach Nr. 1. Er war Dienstbote zum Nulltarif. Außer Verpflegung bekam er wöchentlich ein Packerl Pfeifentabak. Selbst rauchte er Buchenlaub, und das Packerl Tabak schenkte er Walzbrüdern, die alle paar Tage bei uns übernachteten.
Der Franz gehörte zu unserer Familie. Sein Hobby war außer Stall- und Feldarbeit das Flechten von Körben. Aus langen Wurzeln, die er beim Roden von Wurzelstöcken sammelte, verfertigte er das Flechtmaterial. Diese so verfertigten Körbe waren unverwüstlich. Er saß dabei im Kuhstall, dort war es immer warm. Ich saß neben ihm und schaute ihm zu, dabei erzählte er mir interessante Geschichten. Er sprach unter anderem von der Mondfahrt, natürlich nach seiner Version. Er selbst war Astronaut, mit vielen Federn am Hut. So flog er von der Sternsteinwarte los. Er hatte Schrullen, wie man so sagt, und wurde daher als Sonderling bezeichnet. Mir hat das nichts ausgemacht, ich habe ihn verehrt. Er war mein Ansprechpartner und ich habe ihm in meiner kindlichen Fantasie alles, was er mir erzählte, geglaubt. Das merkte er bald und wir wurden dicke Freunde. Ich musste schon, fast noch als Kind, mit ihm in den Wald gehen, und dabei lernte ich vom Franz unter anderem das Stöckeroden, das ich später gut gebrauchen konnte. Ehrlich gesagt, ich hatte ihn weit lieber als meinen Vater. Der Franz haute mich nie, er schimpfte nur, wenn wir Buben ihm die Deckschauben ruinierten,die man damals zum Dachdecken verwendete. In seiner Anwesenheit hätte mich mein Vater nicht schlagen dürfen, da hätte er mich sicher verteidigt.
Franz hat auch Besen gebunden und ist damit mit einem Schubkarren nach Urfahr gefahren und hat dort die Rutenbesen eingetauscht und hergeschenkt. Fünfundzwanzig Kilometer jeweils hin und zurück an einem Tag! Wenn er es nicht schaffte, legte er sich im Wald irgendwo hin.
In die Kirche ging er nicht.
Franz war sehr gescheit, nur lesen und schreiben konnte er nicht.
Unsere Haustiere, Pferde, Kühe, usw. pflegte und hegte er, soweit dies überhaupt möglich war, und er erzählte mir, dass er nachts öfter mit den Tieren plauderte. Die Tiersprache habe ich von ihm gelernt. Mein Wellensittich spricht jetzt auch mit mir, und wir zwei verstehen uns sehr gut.
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