Dem Anlaß entsprechend sei dem Autor eine persönliche Vorbemerkung gestattet: Es muß um 1950 gewesen sein, als der damals Achtjährige erstmals das Oberösterreichische Landesmuseum Francisco Carolinum in der Linzer Museumstraße betrat. Anlaß war weder
ein heimatkundlicher Schulausgang noch früherwachtes wissenschaftliches Interesse, sondern die Tatsache, daß seine Mutter fallweise in der naturwissenschaftlichen Abteilung besagter Institution tätig war. Sie am Arbeitsplatz zu besuchen, ermöglichte natürlich auch einen Blick in die Sammlungen; als besonders eindrucksvoll erwiesen sich - neben den immer wieder besichtigten Modellen der Donau-Schiffe im Oberstock - die unterschiedlichen Palmbuschen, die im Souterrain des Hauses sozusagen im Verborgenen "blühten". Sie "gehörten", so wurde dem neugierig Fragenden beschieden, dem ,,Dr. Lipp" - jenem Dr. Lipp, der eineinhalb Jahrzehnte später dem nunmehr Volkskunde Studierenden als akademischer Lehrer sowie als geschätzter Museologe wieder begegnen sollte und der dann im Laufe der beruflichen Tätigkeit am Institut für Volkskunde der Universität Wien (dem Franz Lipp seit 1967 als Dozent, seit 1973 als tit. A.o., seit 1990 als tit. O. Universitätsprofessor für Volkskunde von Mitteleuropa zugeordnet ist) zum väterlichen Freund wurde. Besagte Palmbuschen haben die spätere Studien- und Berufswahl sicherlich nur marginal beeinflußt - weniger marginal waren da schon die Kontakte zu und die Arbeiten von Franz Lipp, der mit seiner "regionalen" Volkskunde, seiner Tätigkeit in und für Oberösterreich schon lange vor Wolfgang Brückners Umschreibungsversuch die Bedeutung der Volkskunde als "Sozialgeschichte regionaler Kultur" (1) herausgestellt hat. Ihm, der ab 1939 unserer Wissenschaft in der von ihm aufgebauten und 40 Jahre lang geleiteten volkskundlichen Abteilung die erste "offizielle" wissenschaftliche Heimstätte in Oberösterreich gab,(2) sei daher als Geburtstagsgruß der folgende kleine Beitrag gewidmet. Er befaßt sich mit der Arbeit eines Mannes, den Albert Depiny zu Recht mit der Geschichte der Volkskunde am Oberösterreichischen Landesmuseum in Zusammenhang brachte: Pater Amand Baumgarten. Depiny bezeichnete ihn als "Sammler der Überlieferung Oberösterreichs und ihre(n) wissenschaftlichen Darsteller";(3) mit seiner in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in drei Teilen erschienenen Abhandlung "Aus der volksmässigen Ueberlieferung der Heimat"(4) benutzte Baumgarten die "Berichte über das Museum Francisco Carolinum" (denen die "Beiträge zur Landeskunde von Oesterreich ob der Enns" beigegeben waren) als Sprachrohr für seine volkskundlichen Forschungen. Die Beziehung zum Museum wird schon im Einleitungssatz deutlich: "Ein Landesmuseum setzt sich die Aufgabe, Kunde von Land und Leuten zu geben, in die Eigenthümlichkeit beider mit einem Blicke, welchen die Betrachtung des heimischen Wesens schärft, liebend einzudringen."(5) Franz Lipp, der mehr als hundert Jahre danach für geraume Zeit als Direktor die Führung dieses Museums übernehmen sollte,(6) darf hier unterstellt werden, daß ihn - neben selbstverständlicher und zeitgemäßer wissenschaftlicher Ausrichtung musealer Sammel-, Ausstellungs- und Forschungstätigkeit - das poetisch ausgedrückte ,,liebende Eindringen" zeitlebens geprägt hat.
P. Amand Baumgarten, im Dezember 1819 in Passau geboren, trat 1839 in das Stift Kremsmünster ein, wo er als Gymnasiallehrer für deutsche Sprache und Literatur, als Präfekt, als Konviktsdirektor, 1873 - 1877 als Gymnasialdirektor sowie als Leiter der Stiftsbibliothek tätig war. Im Sommer 1882 starb er in Salzburg, als er bei seiner Schwester einen Erholungsurlaub zu verbringen gedachte.(7) Sein volkskundliches Oeuvre ist relativ gering: neben einer "literargeschichtlichen" Studie über den aus Schärding stammenden Jesuiten,
Bibliothekar und Schriftsteller Michael Denis (1729 - 1800),(8) welcher speziell durch seine 1797 veröffentlichten "Lesefrüchte" auch für die Frühgeschichte der österreichischen Volkskunde von Bedeutung ist,(9) sind nur zwei Arbeiten erwähnenswert: die 1860 veröffentlichte über "Das Jahr und seine Tage in Meinung und Brauch der Heimat",(10) deren Überarbeitung Baumgarten vorbereitete, aber nicht mehr abschließen konnte (und die in dieser revidierten Fassung von Adalbert Depiny 1926 aus dem Nachlaß herausgegeben wurde)(11) sowie die schon erwähnte umfangreiche Zusammenfassung "Aus der volksmässigen Ueberlieferung der Heimat",(12) welche mehrfach von A. Depiny gewürdigt wurde.(13)
Leopold Schmidt bezeichnete A. Baumgarten als den "bedeutendsten Sammler seiner Zeit im Lande ob der Enns", spürbar beeinflußt von der "romantischen Mythologie".(14) Diese Beeinflussung zeigt sich nicht nur in mancher Interpretation, sondern auch in den von
Baumgarten herangezogenen Autoren, auf die er in den Fußnoten verweist: Grimm, Mannhardt, Rochhoitz, Simrock, Wolf usw. Streichungen in den nachgelassenen Manuskripten lassen vermuten, so A. Depiny, daß Baumgarten "an seinem Lebensabend in der mythologischen Ausdeutung selbst zurückhaltender geworden zu sein (scheint)".(15) Besagter Nachlaß wanderte aus naheliegenden Gründen in das Archiv der Stiftsbücherei Kremsmünster, wo er einigermaßen ungeordnet und ohne die nicht erhaltenen numerierten Übersichten, die A. Baumgarten besessen haben muß - nur schwer zu bearbeiten war, wie A. Depiny mitteilt. Dieser hatte in den 20er Jahren mit der Sichtung der Materialien begonnen und plante, die "heimatkundlich wichtigen Aufzeichnungen" nach und nach in den "Heimatgauen" zu veröffentlichen.(16) Es scheint tatsächlich zu einer gewissen Ordnung
und zu Abschriften durch die heimatkundliche Fachgruppe des Oberösterreichischen Heimatvereines gekommen zu sein; "die Frage der Herausgabe ist bisher an wirtschaftlichen Schwierigkeiten gescheitert".(17) Daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert; die reiche Stoffquelle ruht, unbenutzt und wohl auch etwas aus dem Blickfeld der volkskundlichen Forschung geraten, immer noch in Kremsmünster.(18) Die dieser Tage verstorbene Doyenne der deutschsprachigen Volkskunde, Ingeborg Weber-Kellermann, hat 1965 mit der Bearbeitung der Fragebögen, die Wilhelm Mannhardt 1865 in hoher Anzahl
verschickte, um die "mythischen Gebräuche beim Ackerbau" zu erheben, aufgezeigt, wie man derartige Aufzeichnungen nicht "mythologisiert", sondern in ihrer "lebenswirklichen Gegenwart" darstellen kann.(19) Die Arbeit von Frau Weber-Kellermann wird an dieser Stelle nicht zufällig erwähnt: Zum einen soll sie auf die Möglichkeiten verweisen, welche bei entsprechender Analyse und Interpretation mythologische Materialien aus dem 19. Jahrhundert heute noch bieten (und A. Baumgartens Nachlaß fällt in diese Kategorie von Archivalien), zum anderen besteht ein direkter Bezug zwischen Wilhelm Mannhardt und P. Amand Baumgarten - letzterer war nämlich der oberösterreichische Bearbeiter der besagten "Circulare" genannten Mannhardt'schen Umfrage.(20) Die Grundlagen für die detaillierte Ausarbeitung, eventuell auch eine Abschrift, sollten sich in Baumgartens Nachlaß finden, die umfassende und aus zwei Teilen bestehende Beantwortung der Mannhardt-Umfrage durch "Amand Baumgarten, Gymnasiallehrer" liegt in der Handschriftenabteilung der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin.(21) Von den insgesamt 2.128 erhaltenen Antworten stammen 216 aus dem Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie; sie wurden von Frau Weber-Kellermann nur marginal berücksichtigt und von ihr in Kopie dem Institut für Volkskunde der Universität Wien zur Verfügung gestellt (in zwei Beiträgen ist bislang auf dieses
ansonsten unveröffentlichte Material zurückgegriffen worden(22).
P. Amand Baumgarten erweist sich in seiner Beantwortung des "Circulare" (welche insgesamt zu den detailliertesten gehört) nicht nur als Kenner der - W. Mannhardt besonders interessierenden - "niederen Mythologie", sondern vor allem als hervorragender Sammler.
Als solcher sieht er sich primär, wenn er 1862 schreibt: ,,... seit Jahren (ist) in allen deutschen Gauen das Bedürfnis erwacht, die Quelle volksmässiger Überlieferung, welche die Ungunst mehrerer Jahrhunderte hatte versanden und von fremdem Gestrüpp feindlich umwuchern lassen, wieder zu reinigen und, wenn auch nur mehr aus still und spärlich rieselnder Fluth, daraus Erkenntniss des eigenen innersten Lebens des Volkes zu schöpfen, den poetischen Sinn desselben in seinem geheimen Wehn zu belauschen, in seine Kultur- und Sittengeschichte sich lebendiger zu vertiefen, sein Lachen und Jauchzen, sein Fürchten und Bangen, seine Liebe und seinen Zorn zu verstehen, seine Vorzüge und Tugenden zu achten und zu ehren, seine Irrthümer und Fehler aufzudecken und zu verurtheilen. Diesen Zweck
suchen auch, obschon im bescheidenen Mass, die gegenwärtigen, und so Gott will, die künftigen Beiträge zu verfolgen. Ich nehme mit ihnen nur den Namen eines Sammlers in Anspruch."(23)
Den veröffentlichten Schriften Baumgartens ist nicht zu entnehmen, wie er gesammelt hat. Er scheint mit einem Netz von Gewährspersonen gearbeitet zu haben und versuchte auch, Vergangenes von Gegenwärtigem zu trennen, also einigermaßen historisch-korrekt
vorzugehen. Eine Fußnote, welche er seiner unter dem Titel "Die Ernte in Oberösterreich" an Mannhardt gesandten Ausarbeitung beigegeben hat, zeigt dies deutlich: "Wo der ergebenst Gefertigte die Lokalität feststellen konnte, hat er es gethan. So oft die Angabe fehlt,
konnte er sich eben auf keine bestimmte Mittheilung hierüber berufen. Die Bestimmung nach den alten 4 Kreisen oder Vierteln des Landes erschien ihm naturgemäßer, als jede andere. War es ihm möglich, so hat er durch den wechselnden Gebrauch des Präsens und des Präteritum angedeutet, ob ein Brauch noch geübt, eine Meinung noch festgehalten wurde oder nicht. Doch bekennt er, daß es höchst schwierig sei, in diesem Punkte ins Reine zu kommen, da seit einem Jahrhundert wachsender Einfluß der Schule, der jährlich sich steigernde Verkehr haben im Gedankenkreise des oberösterreichischen Volkes eine gewaltige Umwälzung und Zersetzung hervorgerufen, und es muß fast einer aus ihnen sein, sollen sie in dieser Einsicht volle Aufrichtigkeit zeigen: so groß ist die Furcht, für abergläubisch gehalten, oder gar als dumm verlacht zu werden."(24) Baumgarten hat, wie die Numerierung seiner um einen ,,zweiten
Beitrag" vermehrten Antwort beweist, nicht die nur 25 Fragen beinhaltende und zwei Druckseiten umfassende erste "Bitte" von Wilhelm Mannhardt als Grundlage benützt,(25) sondern deren auf 35 Punkte erweiterte Zweitfassung, die ebenfalls schon 1865 verschickt wurde, weil Mannhardt bereits 1866 auf sie zurückgreift.(26) Das Baumgarten'sche Manuskript weist zwar keine Jahreszahl, aber die Datierung "Kremsmünster, den 30ten Jänner" auf, sodaß wohl 1866 als Jahr der Abfassung angenommen werden kann. Es ist hier weder beabsichtigt
noch möglich, die Handschrift in größeren Ausschnitten zu edieren oder gar zu kommentieren; es soll jedoch beispielhaft die Arbeits- und Denkweise dieses "Ahnherrn" einer oberösterreichischen Volkskunde verdeutlicht werden. Nicht von ungefähr sei ausgewählt, was Baumgarten über die Palmbuschen schreibt.
*
1860 hatte er sich im Abschnitt ,,Palmsonntag" noch kurz gehalten und war auf Einzelheiten kaum eingegangen: "An diesem Tage wirft man drei geweihte Palm in die Hauslache, damit die Frösche den Sommer hindurch nicht so lästig quacken (Wartberg, Traunkreis). Anderswo gibt man sie in Lache oder Brunnen, damit niemand darin ertrinke. Pferden und Rindern reicht man meistens je drei ,Palmmul; in Wiesen und besonders in Äcker steckt man die in der Kirche geweihten ,Palmbuschen. Zu diesen nimmt man in Grünau Sebnbaum, Schrädl, Örtbaum, Haselgezweig, Palmen, Wintergrün, Kranäwitn. Anderswo ist weder Zahl noch Art der Pflanzen so genau bestimmt: nur wählt man häufig Eichenlaub und Seidelbast. Um
Eberstallzell werden ins Korn- und Weizenfeld, sowie ins ,Lands-Troad (Sommergetreide) und ,in Har' Palmbuschen gesteckt; treibt "das Stäblein bis zum ,Schnitt aus, so heiratet noch in dem nämlichen Jahr die Person, welche es hineingegeben hat. Der Palmbusch im Feld
wehrt den Schauer ab. Einige schreiben das Johannes-Evangelium dreimal ab, binden je eine Abschrift an einen Palmbuschen und lassen sie weihen, um sie in die 3 Felder zu stecken."(27)
Die gut ein halbes Jahrzehnt später verfaßte Schilderung in "Die Ernte in Oberösterreich" ergänzt die obige Darstellung in einigen Punkten: "Ist am Palmsonntag schönes Wetter, wird ein fruchtbares Jahr, ein besonders günstiges Anzeichen ist es, wenn während der&Mac226;Palmweihe (kirchl. Ceremonie) die Sonne hell scheint; da gerathen alle Arten Früchte.
Treibt der ,Palmbuschen oder Palmbesen, den man in den Acker steckt, aus, so wird ein gutes Jahr.&Mac226;Wie der Palm, so 's Korn; d. h., die Witterung des Palmsonntags bestimmt im vorhinein das Ergebnis der Kornfechsung. -
,Der Palmbuschen (Steinerkirchen, Traunviertel). Zu den Palmbuschen, welche nach katholischem Brauch am Palmsonntag in den Kirchen geweiht werden, nimmt man:
1.) Zweiglein von der weißen Felber, der ,Weide;
2.) Felberschüß, d.h. frische Schößlinge der gelben Weide oder ,Felber;
3.) Haselschüß;
4.) Segenbaum, Sebenbaum, junip. Sabin. Lin.;
5.) Zwilinden, d. h. Seidelbast;
6.) Eichenzweiglein;
7.) Schradl, ilex aquifol., Lin.;
8.)Albárázweiglein; Albárá, populus alba;
9.) Kranawitwipferl;
10.) Wintergrün, hedera helia, Lin.
11.) Buchsbaum.
Zu Stäblein werden junge Haseln, zu Widlein dünne Ruthen der ,Felber', gebraucht. Die ,Mudln' (Samenknospen) liefert die Weide.
Es wird jedoch dazu bemerkt, daß sich selten ein Palmbuschen findet, der alle diese Stücke in sich vereinigt. Solche Palmbuschen steckt man am Palmsonntag selbst, oder am Ostermontag in Acker und Wiesen, auch in die Getreidekästen. Im Innviertel hat man ,Palmbäume, mit Äpfeln geschmückt. Sie werden, aus der Kirche heimgebracht, der Äpfel entledigt und ins Freie, häufig in den ,Wurz- oder Pregarten' gesteckt, woselbst sie 8 Tage bleiben, sodann aber, wieder entfernt, im Getreidekästen aufgehoben werden."(28) Baumgarten hat hier auf den schon 1862 veröffentlichten l. Teil seiner "Volksmässigen Ueberlieferung", "Zur volksthümlichen Naturkunde", zurückgegriffen, wo sich eine weitere Ergänzung zum
"Palmbuschen" findet: "Nicht selten bindet man auf den Pahnbuschen Aepfel, welche für diesen Tag eigens aufbewahrt wurden; die Zahl schwankt zwischen l - 5, beträgt aber kaum jemals mehr.
Mitunter bindet man in den Palmbuschen auch ein Päcklein Wicken, um sie nach der Weihe den Tauben zu füttern, damit sie ,das Flöogad nicht fahe'. Auch ein rothes Seidenband sieht man öfters angebunden, welches nöthigen Falls wider das ,Leogföer' (Rothlauf) gebraucht wird. Der Grund, warum man den Palmbuschen eben so zusammensetzt, liegt in der Meinung, welche man von den verschiedenen Bestandtheilen desselben hat. Von dem Buchsbaum heisst es zwar, er diene als Zier. Den Segenbaum nimmt man, weil auf ihm und überall, wo er ist, der Segen Gottes ruht; er fehlt daher auch nicht leicht in dem Palmbuschen.
Schrádl kommt vorzüglich in die Büschlein, welche für den Stall, besonders Rossställe, bestimmt sind. Er verhindert den Teufel, das Vieh, vornehmlich die Rosse bei der Nacht zu quälen, zu ,reiten'. Dasselbe gilt von den Eichenzweigen, nur dass sie weit häufiger als
Schrádl und besonders die gebraucht werden, woran wenigstens etwas altes Laub ist. Sie halten überall, in Stuben und Ställen und auch auf Feld und Acker, Teufel und Hexen ab. Die Kranewiten haben dieselbe Kraft; wo Kranewiten sind, da können Teufel und Hexe nicht
hin. Die Beziehung der Haselstaude zu Ernte und Stall wurde bereits besprochen. Von der Zwülindn heisst es, sie hätte eine besondere Kraft, weil dem Heiland, als er seinen feierlichen Einzug in Jerusalem hielt, nebst Palmen auch Zwülindn gestreut wurden; Er also selbst
darüber gewandelt ist. - Am häufigsten jedoch, denn es findet sich vielleicht kaum ein
Palmbuschen, der die angerührten Stücke sämmtlich in oder an sich vereinigte, nimmt man neben den Palmzweigen und Palmmu'ln Segenbaum, Zwülindn, Hasel- und Eichenzweige; ebenfalls noch häufig kommen Schrádl, Kranewiten, ,Albárá- und Felberzweige und Wintergrün vor, am seltensten Buchsbaum u. Wicken. - Von dem Gebrauche der Palmbuschen wird zu dem bereits Angeführten der Vollständigkeit halber noch bemerkt, dass man sie auch in die Getreidekästen steckt und bei Hochgewittem Theile davon ins Feuer wirft. - Man geht nüchtern zur Palmweihe und isst, heimgelangt, vor allem andern 3 Palmmul. -
Wenn der Palmbuschen bis zum Schnitt austreibt, heirathet die Person, welche ihn in das Feld gesteckt hat. -"(29) Baumgarten hat - das ist aus obigen Ausführungen herauszulesen - tatsächlich die Bräuche und Meinungen der Bevölkerung wiedergegeben und, zumindest in diesem thematischen Umfeld, eine persönliche Interpretation nicht eingebracht, als deklarierter ,,Sammler" wohl auch nicht einbringen müssen. Natürlich ging es ihm um
die schon angerührte ,,Reinigung" der "Quelle volksmässiger Überlieferung", doch hat er, um beim Bild zu bleiben, den dort entspringenden Bach weder umleiten noch aufstauen müssen. Die ursprüngliche Wasserqualität ist somit auch heute noch gegeben; zu überprüfen, teilweise zu erneuern ist lediglich die Befestigung der Ufer: für Baumgarten bestand sie aus den Autoren, die er in den "mythologischen" Anmerkungen seiner Arbeiten anführte (wobei die Erwähnungen ausdrücklich für seinen Schülerkreis im Gymnasium gedacht waren), uns stehen bereits ungleich mehr und unterschiedlichere Baumaterialien zur Verfügung. Was uns ebenfalls zur Verfügung steht, sind spätere Erhebungen - die es allerdings nur zu bestimmten Themenbereichen gibt, auch im Umfeld der ansonsten bevorzugten Brauchforschung. So hat sich die Volkskunde mit Form und Verbreitung der Palmbuschen im 20. Jahrhundert intensiv auseinandergesetzt (worauf unten noch kurz einzugehen sein wird), was man - um zumindest einen weiteren Hinweis bei A. Baumgarten aufzugreifen - von den kirchlichen Erntedankfesten nicht behaupten kann. Vor allem die Zeit ihrer Einführung bleibt dort, wo sie überhaupt Erwähnung finden, merkwürdig diffus; auch lassen konkrete Anleitungen für die Gestaltung einer katholischen Feier (wie sie etwa Leopold Teufelsbauer 1933 im Umfeld volksliturgischer Bemühungen der Zwischenkriegszeit gegeben hat)(30) die Vermutung zu, sie wäre nur vereinzelt - und da uneinheitlich - begangen worden. In enger Verbindung mit dem damals propagierten ,,kirchlichen" Erntedank stehen Bemühungen um ein "weltliches" Pendant; die sich daraus ergebende Kombination von Festzug, Dankgottesdienst und Dorffest hat nach dem Zweiten Weltkrieg andere Bräuche und Meinungen rund um den Ernteschluß weitgehend in Vergessenheit geraten lassen. Gerade zu diesen bietet natürlich, den Mannhardt'schen Intentionen entsprechend, Amand Baumgartens "Die Ernte in Oberösterreich" eine Fülle von Angaben. Sie interessieren hier nicht; was interessiert, ist eine vergleichsweise kurze Mitteilung, die in den veröffentlichten Aufsätzen von 1860 bis 1869 keine Ergänzung findet: "Das kirchliche Erntefest, häufig ,Dankfest schlechthin genannt, hält man hie und da nach beendigter Ernte, an einem Sonn- oder Feiertag ab, anderswo an bestimmten, von Jahr zu Jahr sich gleich bleibenden Tagen, besonders gerne an Maria Geburts- oder Namensfeste. Im Innviertel werden hin und wieder bei dieser Gelegenheit von Männern Wachskerzen, von Frauen Flachs geopfert. "(31) Sie - die Mitteilung - läßt in ihrer Konkretheit (was die noch wechselnden, andernorts auch schon fixierten Termine betrifft, insbesondere aber durch das verwendete Wörtchen "häufig") die oben angestellte und durch die Sichtung der einschlägigen späteren Brauchliteratur scheinbar abgesicherte Vermutung von nur vereinzelter Begehung kirchlichen Emtedanks als das erscheinen, was sie ist: als Hinweis auf unzureichende Quellenforschung. Sie würde sich bei diesem Thema mit Pfarrchroniken, Kirchenbüchern und ähnlichen Archivalien zu beschäftigen haben und wäre wohl auch für andere Bräuche im Spannungsfeld von Weltlichkeit und Liturgie noch immer notwendig.
Will man den Nachlaß von A. Baumgarten sinnvoll nutzen, so ist der aufwendige Vergleich mit seinen publizierten Arbeiten absolut notwendig. Darüber hinaus wird sich eine kritische Edition vor allem mit dem Wandel der letzten 125 Jahre zu beschäftigen haben. Im Falle
der Palmbuschen ist dieser unschwer anzustellen. Franz Lipp hat sie 1952 in seinem Bilderatlas "Art und Brauch im Lande ob der Enns" mitbehandelt;(32) Ernst Burgstaller widmete dem Palmsonntag und insbesondere den Palmbuschen im Rahmen seines Buches über das oberösterreichische Jahresbrauchtum breiten Raum.(33) Die von ihm erstellten Karten und der ausführliche Kommentar im Atlas von Oberösterreich geben im Vergleich zu Baumgarten ein ungleich differenzierteres, diesen jedoch bestätigendes Bild;(34) Karte und Kommentar im Österreichischen Volkskundeatlas ergänzen es, u.a. im Hinblick auf einen österreichweiten Vergleich.(35) Die von A. Baumgarten befürchtete "Zersetzung" scheint nicht eingetreten zu sein, ganz im Gegenteil: die bei Erhebungen im 20. Jahrhundert festgestellte Formenvielfalt spricht eher für eine Luxurierung der Palmbuschen - eine Entwicklung, die im Umfeld kirchlich geprägter und sanktionierter Bräuche keineswegs alleine steht, man denke nur an Weihnachten, Erstkommunion und ... So gesehen bedürften die gesamten Materialien besagter vergleichender Sichtung; allenfalls wäre dieser Vergleich bezüglich Themen, deren Aktualität sich in volkskundlichen Arbeiten der Gegenwart alleine deshalb nicht widerspiegelt, weil kaum Forschungen angestellt wurden, ungleich lohnender.
Gedacht sei insbesondere des Feldes der "Superstitio", des Aber-, Volks- oder wie auch immer -Glaubens.(36) Dieter Harmenings diesbezügliches Kapitel im bayrischen Volkskundehandbuch ist überwiegend historisch ausgerichtet,(37) wenngleich unübersehbar ist, welche Rolle naturwissenschaftlich nicht abgesicherte Vorstellungen heute im Umfeld religionsartiger Vereinigungen und speziell im Alltag spielen. Amand Baumgartens ,,Materialien" könnten, abseits seiner zeitgemäß-mythologischen Deutungsversuche, wieder an Bedeutung zunehmen, wenn man zum einen ihr ,,Fortleben" untersucht, zum anderen Martin Scharfes ,,Revision von Thesen von Volksreligiositat"(38) nachvollzieht, in welcher er u.a. die Überwindung der ,,infantile(n) Opposition zu den Kontinuitätsthesen des 19. Jahrhunderts" fordert.(39) Vielleicht gewänne unter diesen Voraussetzungen auch manche Passage in A. Baumgartens Aufzeichnungen erneut Gewicht? Jedenfalls wiederzuentdecken: Pater Amand Baumgarten!
l Wolfgang Brückner: Volkskunde als Sozialgeschichte regionaler Kultur. In: Wolfgang Lipp (Hg.): Industriegesellschaft und Regionalkultur. Untersuchungen für Europa (= Schriftenreihe der Hochschule für Politik München, Bd. 6). Köln u.a. 1984, S. 71-88.
2 Gunter Dimt: Volkskunde. In: 150 Jahre Oberösterreichisches Landesmuseum; Linz l983, S. 251f.
3 Adalbert Depiny: Das Oberösterreichische Landesmuseum und die Volkskunde. In: Jahrbuch des oö. Musealvereines, Bd. 85 (1933), S. 507 - 540, hier S. 517.
4 P. Amand Baumgarten: Aus der volksmässigen Ueberlieferung der Heimat. In: 22., 24. und 28. Bericht über das Museum Francisco-Carolinum. Nebst der 17., 19. und 23. Lieferung der Beiträge zur Landeskunde von Oesterreich ob der Enns; Linz 1862 (S. l - 167), 1864 (S. 77 - 176), 1869 (S. l - 159).
5 A. Baumgarten (wie Anm. 4), 1862, S. 3.
6 Zu Leben und Werk vgl.: Volkskultur. Mensch und Sachwelt. Festschrift für Franz C. Lipp zum 65. Geburtstag (= Sonderschriften des Vereines fürVolkskunde in Wien, Bd. 3). Wien 1978, S. 1-18.
7 Bio-bibliographische Angaben zu A. Baumgarten finden sich mehrfach: P. Lambert Guppenberger: Bibliographie des Clerus der Diöcese Linz von deren Gründung bis zur Gegenwart 1785 - 1893. Linz 1893, S. 11; Ferdinand Krackovicer, Franz Berger: Biographisches Lexikon des Landes Österreich ob der Enns. Linz 1931, S. 16 f.; Österreichisches Biographisches Lexikon, I. Bd. Graz-Köln l957, S.58.
8 P. Amand Baumgarten: Michael Denis. Eine literargeschichtliche Biographie. In:
Gymnasial-Programm von Kremsmünster 1852 (andernorts zitiert als: Jahresbericht des Stiftsgymnasiums Kremsmünster).
9 Leopold Schmidt: Geschichte der österreichischen Volkskunde (= Buchreihe der Öst. Zeitschrift f. Volkskunde, N.S., Bd. II). Wien 1951, S. 37f.
10 Gymnasial-Programm = Jahresbericht des Stiftsgymnasiums Kremsmünster 1860.
11 P. Amand Baumgarten: Das Jahr und seine Tage in Meinung und Brauch der Heimat. Aus dem Nachlasse herausgegeben von Dr. Adalbert Depiny. In: Heimatgaue, 7. Jg. 1926. Linz 1926, S. l - 23, S. 96 - 118. - Die Arbeit ist auch separat erschienen (Sonderabdrucke aus den "Heimatgauen", Zeitschrift für Oberösterreichische Geschichte, Landes- und Volkskunde, Heft 12, Linz 1927).
12 Wie Anm. 4.
13 A. Depiny (wie Anm. 3), S. 518f; A. Depiny, Vorwort. In: A. Baumgarten (wie Anm. 11), S. 2.
14 Leopold Schmidt (wie Anm. 9), S. 88, S. 100.
15 A. Depiny: Vorwort (wie Anm. 13), S. 3.
16 Ebenda.
17 A. Depiny (wie Anm. 3), S. 519.
18 Zumindest war kein anderer Aufbewahrungsort in Erfahrung zu bringen.
19 Ingeborg Weber-Kellermann: Erntebrauch in der ländlichen Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts auf Grund der Mannhardtbefragung in Deutschland von 1865
(= Veröffentlichungen des Instituts f. mitteleuropäische Volksforschung d. Philipps-Universität Marburg-Lahn, A. Allg. Reihe, Bd. 2). Marburg 1965.
20 Die Umfrage ist dargestellt bei I. Weber-Kellermann (wie Anm. 19), S. 25 - 46. Mannhardt hat die eingegangenen Antworten mehrfach ausgewertet; verwiesen sei vor allem auf sein zweibändiges Hauptwerk "Wald- und Feldkulte", Berlin 1875, 1877 (2. Auflage Berlin 1904/05, Neudruck 1966). Zu Person und Werk vgl.: Ingeborg Weber-Kellermann, Andreas C. Bimmer: Einführung in die Volkskunde/Europäische Ethnologie (= Sammlung Metzler, Realien zur Literatur, Bd. 79), Stuttgart 1985, S. 38-40.
21 So lautete zumindest bis zur deutschen Einigung die offizielle Bezeichnung. - Die von A. Baumgarten stammende Ausarbeitung weist spätere handschriftliche Vermerke und eine doppelte, nicht übereinstimmende Paginierung auf. Ob mit dem von L. Guppenberger (wie Anm. 7) 1893 erwähnten Manuskript im Ausmaß von 68 Seiten, das unter dem Titel "Agrarische Meinungen und Bräuche in Oberösterreich" in Kremsmünster aufbewahrt wurde, Übereinstimmungen bestehen, konnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht festgestellt werden.
22 Helmut P. Fielhauer; Palmesel und Erntekrone. In: Olaf Bockhom, Helmut P. Fielhauer (Hg.): Kulturelles Erbe und Aneignung. Festschrift für Richard Wolfram zum 80. Geburtstag (= Veröffentlichungen d. Instituts f. Volkskunde d. Univ. Wien, Bd. 9). Wien 1982, S. 79- 113; Olaf Bockhom: "Vor dem Binden bringen die Schnitter dem Gutsherrn eine Erntekrone ...". Die Mannhardt-Umfrage auf Gutshöfen im Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie. In: Olaf Bockhorn, Wolfgang Slapansky unter red. Mitarbeit von Elisabeth Bockhorn (Hg.): Gutshofknecht- und Saisonarbeit im pannonischen Raum (= Veröffentlichungen der Ethnographia Pannonica Austriaca, Bd. 2). Wien 1990, S. 53 - 64.
23 A. Baumgarten (wie Anm. 4), 1862, S. 3f.
24 Amand Baumgarten: Die Ernte in Oberösterreich, Ms., Titelseite. Dem Titel beigefügt: "Verschiedene Ortschaften".
25 Dieser erste "Fragebogen über Erntesitten" ist verschiedentlich und zuletzt abgedruckt in: Wilhelm Hansen (Hg.): Arbeit und Gerät in volkskundlicher Dokumentation (= Schriften der Volkskundlichen Kommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Heft 19), Münster 1969, S. 157 - 159.
26 Wilhelm Mannhardt: Roggenwolf und Roggenhund. Beitrag zur germanischen
Sittenkunde. Danzig 1866.
27 A. Baumgarten (wie Anm. 11), S, 97.
28 A. Baumgarten (wie Anm. 24), Pkt. 22.
29 A. Baumgarten (wie Anm. 4), 1862, S. 154f.
30 Leopold Teufelsbauer: Erntedankfest. Mit einem Liederanhang (= Liturgische Praxis, hg. v. Pius Parsch, Heft 9). Klosterneuburg b. Wien 1933.
31 A. Baumgarten (wie Anm. 24), Pkt. 14.
32 Franz Lipp: Art und Brauch im Lande ob der Enns. Salzburg 1952: Brauchtum Sommerhalbjahr.
33 Ernst Burgstaller: Lebendiges Jahresbrauchtum in Oberösterreich. Salzburg 1948, S. 78-86.
34 Ernst Burgstaller: Frühlingsbrauchtum. Atlas von Oberösterreich, 3. Lieferung, Blatt 52 (52 b. Das Brauchtum der Palmbäume) und Erläuterungsband z. 3. Lfg. Linz l971, S. 88-102.
35 Monika Habersohn: Formen des Palmbuschens. In: Österreichischer Volkakundeatlas, 6. Lieferung/2. Teil (1979), Bl. 107 a, b und Kommentar.
36 Auf die Problematik des Wortes "Aberglaube" sei an dieser Stelle immerhin verwiesen. Vgl. dazu: Christoph Daxelmüller: Vorwort. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. l, unveränderter Nachdruck der Originalausgabe
von 1927. Berlin - New York 1987, S. V - XL, hier S. XXV - XXXII.
37 Dieter Harmening: Superstition &Mac226;Aberglaube. In: Edgar Harvolk (Hg,):Wege
der Volkskunde in Bayern (= Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte, Bd. 25). München - Würzburg 1987, S. 261 - 292.
38 Martin Scharfe: Legales Christentum. Eine Revision von Thesen zur Volksreligiosität. In: Westfälische Forschungen 42/1992, S. 26 - 62.
39 Ebenda, S.59.
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